Ein Stück Alpen in Kattowitz
Ein Alpenverein in Kattowitz? Für viele mag es paradox klingen – schließlich liegen die Beskiden von hier näher als die Alpen. Die Antwort liegt jedoch in der Geschichte.
Kattowitz war eine deutsche Stadt, die im 19. Jahrhundert von Kaiser Wilhelm I., damals König von Preußen, die Stadtrechte erhielt. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Vereine und Gesellschaften – auch solche, die Bergliebhaber zusammenbrachten. Im Jahr 1910 wurde in Kattowitz eine Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) gegründet.
„Die Sektion ist nun seit 115 Jahren in Oberschlesien aktiv“, erklärt Maksymilian Michałek, Vorsitzender der DAV-Sektion Kattowitz. „Sie hat politische Umbrüche, Kriege und schwierige Nachkriegsjahre überstanden – ein kleines Wunder und vielleicht ein Hinweis auf die Existenz Gottes. Sicherlich war eine der Voraussetzungen für ihr Überleben die Kattowitzer Hütte.“

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Herausforderungen und Neuanfang
Der erste große Schock für die Sektion war 1922, als Kattowitz zu Polen kam und formal nicht mehr zum Deutschen Alpenverein gehörte. Obwohl der Kontakt nach München aufrechterhalten wurde, operierte die Sektion nun nach polnischem Recht. In der Zwischenkriegszeit errichteten ihre Mitglieder eine Hütte in den Alpen. Das eigentliche Ende der Aktivitäten in Kattowitz kam 1945 – ein Teil der Mitglieder wurde vertrieben, andere bestritten ihre Zugehörigkeit. Die Sektion wurde in München wiederhergestellt, wobei ihr Fortbestehen stark von der bestehenden Hütte abhing.
In den 1960er- und 1970er-Jahren erlebte die Sektion eine Generationenkrise, es fehlten insbesondere junge Mitglieder. Ein neuer Impuls kam aus Salzgitter in Niedersachsen, wo nach dem Krieg viele ehemalige Kattowitzer angesiedelt wurden. Dort wurde der Sitz der Sektion verlegt, wo er formal bis heute besteht. Paradoxerweise würde eine Rückkehr nach Kattowitz den Verlust der DAV-Mitgliedschaft bedeuten, daher existiert in Polen nur eine Ortsgruppe.

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Rückbesinnung auf die Geschichte – das Jahr 2015
Ein weiterer entscheidender Moment war die Entdeckung der Geschichte der Kattowitzer Hütte im Jahr 2015. „Wir begannen, uns einzulesen, und entdeckten, dass die Sektion Kattowitz existiert“, erklärt Michałek, der später ihr Vorsitzender wurde. „Wir haben uns angemeldet und sind aktiv. Wir haben gewissermaßen zwei Lungen, mit denen wir atmen – die eine sind die Alpen und der Bergtourismus, die andere die oberschlesische Identität. Das verbergen wir nie, auch nicht in unserem Namen: Wir sind der Deutsche Alpenverein.“
Aktuelle Aktivitäten
Heute organisiert der DAV Kattowitz gemeinsame Bergtouren, Workshops zu Tourismus und Sicherheit in den Bergen sowie Integrationsveranstaltungen. Seit zwei Jahren gibt es zudem die neue Initiative „Herz-Jesu-Feuer“. Die Tradition, Feuer in den Bergen zu entzünden, hat in vielen Regionen ihre Wurzeln. In Tirol nahm sie die Form von Lichtsymbolen an, die aus den Tälern sichtbar waren – früher vor allem religiöse Symbole wie das Herz Jesu. Heute werden die Feuer im Sommer von Juni bis August entfacht. Im August dieses Jahres veranstaltete der DAV das Ereignis zum zweiten Mal. Am 9. August entzündeten die Teilnehmer auf der Szelust-Alm bei Krzyżówka hundert Feuer.
“Die Sektion Kattowitz hat politische Umbrüche, Kriege und schwierige Nachkriegsjahre überstanden – ein kleines Wunder und vielleicht ein Hinweis auf die Existenz Gottes.”
„Wir beginnen mit einem Treffen der Mitglieder und einer Messe, dann gibt es ein gemeinsames Feuer und Integration. Bei Sonnenuntergang entzünden wir die Feuer. Letztes Jahr haben wir ein Lichtkreuz gestaltet, dieses Jahr ein Herz. Anfangs benutzten wir Fackeln, in diesem Jahr hundert Grills“, erinnert sich Michałek.
Mitgliedschaft und weitere Hütten
Mitglied der Sektion kann jeder werden, der eine Beitrittserklärung ausfüllt, den Beitrag zahlt und vom Vorstand angenommen wird. Am einfachsten ist der Kontakt über das Internet (www.dav-kattowitz.eu), telefonisch oder persönlich – bei einer der Veranstaltungen oder Treffen.
Neben der Kattowitzer Hütte gibt es auch die Hütten Gleiwitz und Breslau. Die Gleiwitzer Hütte wird von der Sektion Oberbayern betreut und ist heute vor allem ein historisches Objekt. Die Breslauer Hütte, die unter der Wildspitze liegt, wird von der Breslauer Sektion geführt – sie ist eine beliebte touristische Unterkunft, eher wie ein Gästehaus als eine klassische Hütte mit identitätsstiftender Tradition.

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Außerhalb dieses Kanons existieren weitere „Heimatverbands“-Hütten in den Alpen: die Sudetendeutsche Hütte (heute von der Sektion Schwaben betrieben) und die Ostpreußenhütte, einst mit der Sektion Königsberg verbunden. Letztere existierte hauptsächlich dank der heimatverbundenen Gemeinschaften, doch ihre Aktivitäten schwächten sich nach der Unterzeichnung des Vertrages von 1970, der die polnische Westgrenze anerkannte, und endeten schließlich nach der deutschen Wiedervereinigung 1989.