60 Jahre Hirtenbrief: Das Gemeinsame suchen, statt das Trennende

wochenblatt.pl 1 godzina temu
Zdjęcie: Im Breslau wurde am Denkmal für Bolesław Kominek an den von ihm geschriebenen Brief der polnischen Bischöfe erinnert. Foto: M.O.


Feier in Breslau zum Jahrestag des Briefes der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder

Sechzig Jahre nach dem historischen Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder erinnert Breslau mit einer würdevollen Gedenkfeier, einer Messe und weiteren Veranstaltungen an die mutige Geste der Vergebung und Versöhnung. Der Blick richtet sich dabei nicht nur zurück auf einen kirchlichen Impuls von historischer Tragweite, sondern auch in die Zukunft.

Am 18. November 1965 schickten die polnischen Bischöfe einen Brief an ihre deutschen Amtsbrüder. Mit dem Schreiben luden sie die deutschen Bischöfe zur 1000-Jahr-Feier der Christianisierung Polens ein. Berühmt wurde der Brief, weil er einen Satz enthält, der symbolisch für einen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen steht. Am Ende des Briefes steht die Formulierung: „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“

Der Brief ist jedoch weit mehr als eine Einladung; er thematisiert zentrale Fragen, die das deutsch-polnische Verhältnis zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg belasteten. Angesprochen werden nicht nur die Opfer des von Deutschland ausgegangenen Vernichtungskrieges, sondern auch die Opfer von Flucht und Vertreibung sowie des deutschen Widerstandes. Auch zur Oder-Neiße-Grenze äußerte sich das Schreiben.

Im Breslau wurde am Denkmal für Bolesław Kominek an den von ihm geschriebenen Brief der polnischen Bischöfe erinnert.
Foto: M.O.

Da sich sowohl die polnischen als auch die deutschen Bischöfe zu diesem Zeitpunkt für das Zweite Vatikanische Konzil in Rom aufhielten, hatten sie Gelegenheit, einander kennenzulernen — etwas, das sonst über den Eisernen Vorhang hinweg nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Verfasst wurde der Brief vom Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek – in deutscher Sprache. 2005 wurde für Bolesław Kominek auf der Sandinsel in Breslau ein Denkmal errichtet, das neben einer Bronzestatue auch die Vergebungsformel aus dem Brief zeigt.

Würdigung der Initialzündung der deutsch-polnischen Versöhnung

Vor diesem Denkmal begannen am Dienstag die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Briefwechsels zwischen den deutschen und den polnischen Bischöfen. Umrahmt von Musik wurde der historischen Umstände und der Bedeutung des Briefes gedacht. Dabei wurde auch thematisiert, was heute für die Versöhnung noch getan werden kann und muss. Zu den Rednern gehörten unter anderem Erzbischof Dr. Józef Kupny, Metropolit von Breslau, Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, der Stadtpräsident von Breslau, Jacek Sutryk, der Polen-Beauftragte der Bundesregierung Knut Abraham und Wojciech Zajączkowski aus dem polnischen Außenministerium. Anwesend waren außerdem Miguel Berger, der deutsche Botschafter in Polen, Martin Kremer, deutscher Generalkonsul in Breslau, Bernard Gaida, ehemaliger Sprecher der AGDM und früherer Vorsitzender des VdG, sowie Lucjan Dzumla, Präsident des Hauses der deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Beschlossen wurde das Gedenken mit der Niederlegung von Kränzen vor dem Denkmal für Bolesław Kominek.

„Wenn wir nach vorne schauen, dann sehen wir, dass dieses Werk der Aussöhnung natürlich noch nicht abgeschlossen ist und dass wir das als Auftrag verstehen sollten mit Blick auf die Zukunft, auch auf die europäische Zukunft.“
Miguel Berger, deutscher Botschafter in Polen

In seiner Rede betonte Bischof Georg Bätzing die Bedeutung Komineks für den beginnenden Versöhnungsprozess: „Er ist einer der Initiatoren des Briefwechsels und der Hauptautor des polnischen Briefes, der vor 60 Jahren – in den letzten Tagen des Zweiten Vatikanischen Konzils – den ebenfalls in Rom anwesenden deutschen Bischöfen zugestellt wurde.“

Und er erwähnte auch, wie Kominek in Schlesien wirkte: „Obwohl ein polnischer Patriot, der nachdrücklich auf der Anerkennung der Oder-Neiße-Gebiete bestand, hatte er doch ein unbezweifelbares Verantwortungsgefühl für die in seinem Jurisdiktionsbereich verbliebenen Deutschen. Das führte dazu, dass zwar die Gottesdienste nur in polnischer Sprache gehalten werden durften und insofern der staatlich vorangetriebenen Polonisierungspolitik Rechnung getragen wurde, aber die Einzelseelsorge auch auf Deutsch stattfand.“

Im Breslau wurde am Denkmal für Bolesław Kominek an den von ihm geschriebenen Brief der polnischen Bischöfe erinnert.
Foto: M.O.

Den Briefwechsel zwischen den polnischen und den deutschen Bischöfen bezeichnete Bätzing als „realistische Prophetie“: „Denn sie bezeugen die Weigerung, auf unabsehbare Zeit den schlechten Status quo, die Verfeindung der Völker, hinzunehmen und weisen auf neue Perspektiven und Horizonte.“

Die kurzen historischen Erläuterungen während der Feier verdeutlichten, in welchem Umfeld die polnischen Bischöfe vor 60 Jahren ihre Worte an die deutschen Kirchenvertreter richteten. Nicht nur war in Polen die kommunistische Propaganda weiterhin auf Deutschland als Feindbild eingeschossen; auch in der Bundesrepublik war die Oder-Neiße-Grenze zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht allgemein akzeptiert, und die Vertriebenenproblematik war im Alltag der BRD ebenfalls noch präsent.

Seither ist viel passiert, und aus der Versöhnung zwischen Polen und Deutschland ist eine breite Kooperation geworden. Knut Abraham, Koordinator für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, betonte in seiner Rede, wie groß die Verflechtungen bereits sind. Dies betrifft nicht nur die Handelsbeziehungen (Deutschland ist Polens größter Handelspartner und Polen für Deutschland der viertgrößte), sondern vor allem die Grenzregionen: „Entlang unserer Grenze ist ein wirklicher Verflechtungsraum entstanden; diesen gilt es zu bewahren und auszubauen.“ In diesem Sinne hob Abraham hervor, dass die Kernbotschaft des brieflichen Austauschs der Bischöfe vor 60 Jahren weiterhin aktuell sei: „Der Geist des Briefwechsels, die Bereitschaft zur Versöhnung, das Gemeinsame zu suchen und nicht Trennendes und Selbstfixiertheit, hat an Relevanz nichts verloren.“

Der gut einstündige Festakt vor dem Denkmal zeigte, wie stark sich das deutsch-polnische Verhältnis seither verändert hat. Beiträge in deutscher und polnischer Sprache wechselten sich ab, ohne dass es für alle Reden einer strikten Übersetzung bedurfte. Für die anwesenden Gäste entstand so der Eindruck einer durchweg partnerschaftlichen Feierlichkeit. Generalkonsul Martin Kremer, der an der Planung beteiligt war, zeigte sich mit dem Resultat zufrieden. Gegenüber dem Neuen Wochenblatt.pl sagte er über die Veranstaltung: „Ich fand, sie war sehr würdig. Wir haben heute der besonderen Bedeutung von Kardinal Kominek gedacht. Und wir haben nicht nur den Blick nach hinten gerichtet, sondern auch nach vorne geblickt und uns vergewissert, was wir daraus auch für das künftige deutsch-polnische Verhältnis nutzen können.“

Eine gemeinsame Erklärung zum Jahrestag

Die versammelten Gäste begaben sich im Anschluss an den Festakt in den Breslauer Dom St. Johannes der Täufer. Dort wurde eine Messe abgehalten, die ebenfalls partnerschaftlich organisiert war. Die Leitung als Hauptzelebrant übernahm Erzbischof Tadeusz Wojda, während Bischof Georg Bätzing die Predigt hielt. Bätzing näherte sich darin dem Topos der Versöhnung über die Hedwig von Schlesien zugeschriebene Weisheit, Gegensätze durch Gegensätze zu heilen. Er betonte außerdem, dass Versöhnung im Unterschied zu Vergebung Kooperation voraussetzt: „Vergebung kann einseitig geschehen; sie ist ein Akt begnadeter Freiheit. Versöhnung hingegen ist keine Einbahnstraße, sondern verlangt das Mitwirken beider Seiten. Sie ist ein gemeinsamer Weg, der Begegnung, Offenheit und Vertrauen erfordert: ein Wagnis, das mit der Demut beginnt, eigene Fehler einzugestehen, und sich darin vollendet, dass sich vormalige Feinde eine gemeinsame Zukunft zusprechen.“

Im Breslauer Dom St. Johannes der Täufer wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Briefes der polnischen Bischöfe eine Messe zelebriert.
M.O.

Im Anschluss an die Messe unterzeichneten Georg Bätzing und Tadeusz Wojda als Vertreter der Bischofskonferenzen ihrer Länder eine gemeinsame Erklärung. Darin wird der Briefwechsel der Bischöfe im Jahr 1965 als „ein wirksames Zeichen und zugleich Werkzeug des noch auf lange Sicht schmerzhaften Prozesses der Versöhnung“ gewürdigt. Gleichzeitig heben die Bischofskonferenzen hervor, dass es nicht darum geht, das Geschehene zu vergessen: „Die Bitte um Vergebung meinte nicht, dass die deutschen Verbrechen, der Versklavungs- und Vernichtungskrieg gegen Polen, der Holocaust und alle Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft vergessen werden dürften. Auch die Vertreibung zunächst von Polen, dann von Deutschen aus ihrer Heimat darf nicht dem Vergessen anheimgegeben werden.“

Der Geist der Versöhnung heute

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen ist heute nicht mit der Situation der 1960er-Jahre zu vergleichen. Und dennoch bleibt einiges zu tun. Die gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen erkennt an, dass die Folgen des Zweiten Weltkrieges teilweise auch heute noch spürbar sind. Die Erklärung warnt zudem vor einer Instrumentalisierung des erlebten Leids und setzt dem das Prinzip der Versöhnung entgegen. Wörtlich heißt es: „Manche politischen Akteure versuchen, das immer noch Schmerzende und das historisch Unabgegoltene politisch zu nutzen. Für uns ist klar: Politische Spiele mit den historischen Verletzungen widersprechen dem Geist der Versöhnung, wie er im Briefwechsel zum Ausdruck kam.“

Erzbischof Dr. Tadeusz Wojda und Bischof Dr. Georg Bätzing unterzeichneten nach der Messe eine gemeinsame Erklärung.
Foto: M.O.

Insbesondere die anwesenden Vertreter der Politik wiesen darauf hin, dass eine Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen nicht nur im Sinne einer guten Nachbarschaft wünschenswert, sondern angesichts der politischen Lage in Europa und der Welt auch notwendig ist. Der deutsche Botschafter in Polen, Miguel Berger, sagte im Gespräch mit dem Wochenblatt, dass er das Erbe des Briefwechsels auch als Auftrag versteht: „Wenn wir nach vorne schauen, dann sehen wir, dass dieses Werk der Aussöhnung natürlich noch nicht abgeschlossen ist und dass wir das als Auftrag verstehen sollten mit Blick auf die Zukunft, auch auf die europäische Zukunft. Und meine Hoffnung ist, dass wir gemeinsam jetzt in dem Moment, in dem Europa so stark unter Druck steht mit dem Krieg in der Ukraine, Russlands hybrider Kriegsführung, den weiteren internationalen Schwierigkeiten, dass wir das als Chance sehen, dass Deutschland und Polen eng zusammenarbeiten können.“

Zum Jubiläum des bischöflichen Briefwechsels findet am Donnerstag in Breslau eine wissenschaftliche Konferenz statt. Außerdem ist seit Donnerstag im Diözesanmuseum eine Ausstellung zu sehen, die die Entstehung des Briefs der polnischen Bischöfe nachzeichnet. Die Ausstellung macht greifbar, in welcher historischen Situation die Bischöfe sich entschlossen, auf Aussöhnung und Kooperation, statt auf Gegensätze zu setzen. Botschafter Berger wies auch darauf hin, dass am 1. Dezember Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Polen stattfinden. Die Zusammenarbeit wird also fortgesetzt – auch auf höchster politischer Ebene.

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