Krieg und Flucht durch die Augen eines Kindes
Der Zweite Weltkrieg hinterlässt unauslöschliche Spuren – nicht nur in der Geschichte, sondern vor allem in den Leben der Menschen, die ihn erlebt haben. Der Roman „Wir sehen uns bestimmt wieder“ von Sigrid Schuster-Schmah erzählt die bewegende Geschichte von Wilma aus Schlesien, die Krieg, Vertreibung und Verlust erlebt. Dabei ist die erzählende Perspektive die eines jungen Mädchens, das durch tragische Erlebnisse verloren gegangen ist, weil sie „sofort groß und erwachsen sein musste“. Durch die Augen eines Kindes entfaltet sich ein eindringliches Bild von Heimat, Angst, Schmerz und der Suche nach Neubeginn. Der Roman zeigt, wie Krieg das Leben unwiederbringlich verändert – und wie ambivalent die Rollen von Tätern und Opfern sein können.
Die Geschichte eines Kindes im Krieg
Der Roman schildert die Erlebnisse eines elfjährigen Mädchens namens Wilma, das in der Kleinstadt Guttentag/Dobrodzień in Oberschlesien aufwächst und den Zweiten Weltkrieg sowie seine Folgen hautnah miterlebt. Die Erzählung ist aus der Perspektive des Kindes geschrieben, das die Schrecken des Krieges mit einer Mischung aus Unschuld und wachsendem Bewusstsein erlebt. Das Mädchen möchte verzweifelt wissen, „[w]ann der Krieg endlich aus wäre, […]. Aber Vater wusste es wohl auch nicht“. Die kindliche Sichtweise macht die Darstellung besonders eindringlich, da sie die Brutalität und das Leid des Krieges mit der Naivität und den Fragen eines jungen Mädchens kontrastiert.
Das Mädchen erlebt Bombardierungen, Plünderungen und den Verlust von Angehörigen. Die Angst vor den herannahenden russischen Soldaten wird ebenso thematisiert wie die Gewalt gegen Frauen, die in der Zeit nach dem Krieg geschieht. „Aus der Zeitung wurde ich nicht recht klug. Es standen oft so schwierige und unbekannte Wörter darin, zum Beispiel ‚Vergewaltigung‘. Das musste etwas Schlimmes sein, was die Russen mit den deutschen Frauen machten.“
Trotz der tragischen Themen wird die Geschichte nicht nur von Leid geprägt, sondern auch von Momenten der Menschlichkeit, etwa wenn ein russischer Soldat Hoffnung auf Frieden ausdrückt: „Ich wünsche dir alles Gute, Wilma. Und dass du nie wieder einen Krieg erleben musst!“

Foto: Victoria Matuschek
Heimatverlust, Heimatlosigkeit und Flucht – das zentrale Motiv
Ein zentrales Thema des Buches ist die Vertreibung aus der Heimat und die damit verbundene Heimatlosigkeit. Die Großeltern bleiben trotz aller Gefahren in ihrem Haus, das für sie Heimat bedeutet, während das junge Mädchen und ihre Mutter vor allem die Wiedervereinigung mit dem Vater suchen. Die Flucht führt die Familie weit weg von ihrem vertrauten Umfeld – sie verliert Spielkameraden, Freundinnen und die gewohnte Sicherheit des bisherigen Lebens. Das Mädchen erinnert sich: „Ich weinte lautlos, damit Mutter nichts hörte. War das der Krieg, dass man alles hergeben musste, die beste Freundin, den Schulfreund, alles, was einem bisher wichtig und lieb war?“
Die Flucht endet nicht mit der Ankunft in Deutschland. Vielmehr setzt sich das Gefühl der Heimatlosigkeit fort, denn auch dort werden die Vertriebenen nicht als Teil der Gemeinschaft aufgenommen, sondern stoßen auf Ablehnung und offene Feindseligkeit. Die Protagonistin erlebt, wie sie und ihre Familie als „Fremde“ und „unerwünscht“ behandelt werden. Sie werden als „Flüchtlingspack“ beschimpft, in der Schule schwätzten sie über mich, aber nicht mit mir – sie behandelten mich wie Luft, wie schlechte Luft.“
Ein Krieg aus Kinderaugen – und eine Suche nach Heimat, die nie endet.
Diese Ausgrenzung verstärkt das Gefühl, nirgends wirklich dazuzugehören. Heimat wird so nicht nur als geografischer Ort, sondern vor allem als Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung erfahrbar – und bleibt für die Protagonistin lange unerreichbar.
Der Roman macht zudem deutlich, dass Heimatverlust und Vertreibung kein einseitiges deutsches Schicksal sind. Auch polnische Familien werden aus ihren Heimatregionen vertrieben und suchen in Schlesien eine neue Bleibe. Die Begegnung mit diesen polnischen Vertriebenen wird im Buch reflektiert: „Es sind auch Flüchtlinge. Aus der Heimat weggejagt wie wir. Sie kommen aus dem Osten von Polen. Jetzt sind dort die Russen. Sie sollen sich hier in Schlesien ansiedeln und eine neue Heimat finden. Und wir, Ella, was wird aus uns?“ So entsteht ein vielschichtiges Bild von Heimatlosigkeit, das über nationale Grenzen hinausgeht und die universelle Erfahrung von Flucht, Verlust und Entwurzelung betont.
Krieg aus der Perspektive eines Kindes – Angst und Unverständnis
Das Buch zeigt eindrucksvoll, wie ein Kind den Krieg erlebt: mit Angst, Fragen und dem Versuch, das Unfassbare zu begreifen. Die Protagonistin fragt sich, warum der Krieg überhaupt geführt wird und warum die Deutschen von allen Seiten angegriffen werden: „Der Führer Adolf Hitler hatte oft gesagt, dass die tapferen Deutschen sich verteidigen müssten, weil sie von allen Seiten angegriffen würden. Aber warum nur? Was wollten diese Feinde alle von uns? Was hatten wir ihnen getan?“ Die Angst vor dem Unbekannten und die Bedrohung durch die herannahenden Soldaten werden spürbar.
Zugleich zeigt das Buch, wie Kinder mit der Situation umgehen – etwa durch das Spielen von Soldatenspielen oder das Singen von Soldatenliedern: „Zu Uschis Freude sangen wir einige Soldatenlieder, auch das von der schwarzbraunen Haselnuss. Wir hatten alle Strophen und Abwandlungen von den Verwundeten gelernt.“ Diese kindlichen Elemente kontrastieren mit den grausamen Ereignissen und verdeutlichen die Ambivalenz zwischen kindlicher Unbeschwertheit und der Realität des Krieges.
Täter-Opfer-Ambivalenz und menschliche Begegnungen
Ein bemerkenswerter Aspekt des Romans ist die Darstellung der Täter-Opfer-Ambivalenz. Die russischen Soldaten werden zunächst als Bedrohung wahrgenommen, doch einzelne Begegnungen zeigen auch ihre Menschlichkeit. So beschreibt das Mädchen einen jungen Soldaten: „Dieser Russe war ein Mensch, ein richtiger Mensch, kein Monstrum mit fratzenhaftem Gesicht und unförmigem Körper, wie er in den Zeitungen dargestellt worden war.“ Ein junger Russe, der höflich um Wasser bittet und sagt, dass der Krieg bald vorbei sei und dann Frieden herrschen werde, wird von der Großmutter als deutscher Spion angesehen – ein Hinweis auf die tiefen Vorurteile und Ängste jener Zeit.
Gleichzeitig wird die Gewalt gegen Frauen und Mädchen durch russische Soldaten thematisiert, was die Schrecken des Krieges ungeschönt zeigt. Die Protagonistin beobachtet eine Szene, in der eine Frau misshandelt wird: „Da stolperte Margret und fiel der Länge nach hin. […] Einmal, zweimal schlug er sie voll ins Gesicht. Wieder der Schrei, diesmal von allen Frauen. ‚Nicht hier! Um Gottes willen! Nicht vor den Kindern!‘“ Die Ambivalenz zwischen Angst, Hass und dem Erkennen von Menschlichkeit spiegelt die komplexen Gefühle wider, die Krieg und Vertreibung hervorrufen.

Foto: Victoria Matuschek
Erinnerung und Neubeginn
Im Alter kehrt die Protagonistin in ihre ehemalige Heimat zurück und sucht nach Spuren ihrer Kindheit. Besonders bewegt sie die Suche nach ihrem alten Schulfreund Josel. Sie trifft schließlich auf dessen Familie und erfährt, dass Josel verstorben ist. Doch in der Begegnung mit seinen Angehörigen werden Erinnerungen an das kleine Mädchen von damals wieder lebendig. Die geteilten Kindheitserinnerungen lassen sie für einen Moment zu der Person zurückkehren, die sie vor Krieg und Flucht gewesen war: „Ich musste tatsächlich weinen. Plötzlich hatte ich die Spur jenes kleinen Mädchens wiedergefunden, das vor langer Zeit hier gelebt hatte.“
Gerade in diesen Rückblicken wird deutlich, wie stark die Sehnsucht nach einer heilen Welt und nach der Rückkehr in die verlorene Heimat ist. Wilma erinnert sich an ihre kindlichen Hoffnungen und Wünsche, die sie trotz allem nie ganz losgelassen haben: „Nein: Zu Hause war alles heil geblieben! Ein zertrümmertes Zuhause durfte es nicht geben. Zu Hause würde ich wieder mit Uschi und Gudrun spielen. Und mit Josel. Aber ganz bestimmt würde ich nie wieder Krieg spielen.“
Ein Wunsch, der bleibt: Nie wieder Krieg
Am Ende des Romans steht ein eindrücklicher Wunsch, der sich durch die gesamte Erzählung zieht: „Henryk legte seinem Vater einen Moment den Arm auf die Schultern, dann setzte er sich aufrecht. ‚Hitler war ein Verbrecher‘, sagte er. ‚Es darf keinen Krieg mehr geben, nirgends auf der Welt.‘“ Dieser Satz eines polnischen Fotografen fasst die zentrale Botschaft zusammen. Der Krieg hat unermessliches Leid gebracht, Heimat zerstört und Familien auseinandergerissen. Zugleich zeigt die Geschichte, dass inmitten von Angst und Gewalt auch Hoffnung und das Verlangen nach Frieden lebendig bleiben.
Der Roman lädt zum Nachdenken über die komplexen Rollen von Tätern und Opfern ein, über Verlust und Neubeginn, über das, was Heimat bedeutet – gerade aus der Sicht eines Kindes, das in einer Welt aufwächst, die von Krieg und Vertreibung geprägt ist. Es ist eine Erinnerung daran, dass Krieg nicht nur Geschichte ist, sondern tief in den Leben der Menschen nachwirkt.
Das Buch erschien 2011 in einer zweisprachigen Ausgabe (Deutsch und Polnisch) in der Kleinen Bibliothek des VdG. „Wir sehen uns bestimmt wieder: Ein Kinderschicksal aus Schlesien“ sowie weitere Werke sind beim Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) in Oppeln oder unter [email protected] erhältlich.