Vincent Helbig über Identität, Geschichte und den Wert des Miteinanders
Mit Vincent Helbig, bekannt als „Wasz Niemiec“, sprach Andrea Polanski über deutsch-polnische Beziehungen, seine Erfahrungen als Deutscher in Polen und die Rolle von Social Media beim Abbau von Vorurteilen.
Du lebst in Kleinpolen, einer Region, in der die PiS traditionell stark ist und die Partei in ihrer Rhetorik oft antideutsche Töne anschlägt. Spürst du diese politischen Stimmungen im Alltag – und wie prägen sie den Blick auf dich als Deutschen?
In meinem privaten Alltag habe ich antideutsche Stimmungen kaum erlebt. Persönlich habe ich nur sehr selten entsprechende Sprüche gehört und politisch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Auch wenn die PiS hier stark ist, fühle ich mich in der Region wohl und habe nicht das Gefühl, dass meine Herkunft ein Problem darstellt.
Vincent Helbig, bekannt als „WaszNiemiecFoto: Michał Lichtański
Und in einer breiteren Perspektive: Wenn du auf ganz Polen schaust, wie nimmst du derzeit die deutsch-polnischen Beziehungen wahr?
Ich habe den Eindruck, dass es regionale Unterschiede gibt. Menschen in Gegenden, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu Deutschland gehörten – etwa in Schlesien oder Ostpreußen – zeigen oft mehr Sensibilität und Verständnis gegenüber Deutschen. In Gesprächen mit Menschen aus diesen Regionen habe ich gemerkt, dass sie eher den Menschen im Deutschen sehen und weniger ausschließlich die Politik im Blick haben. In Gebieten wie Kleinpolen oder den Vorkarpaten erlebe ich dagegen häufiger Vorbehalte. Das ist natürlich keine wissenschaftlich belegte Erkenntnis, sondern ein persönlicher Eindruck aus vielen Gesprächen und Begegnungen.
Vincent Helbig, bekannt als „Wasz Niemiec”Foto: privat
Gerade in sozialen Medien ist der Ton oft rau. Begegnest du dort auch gezielt antideutschen Kommentaren oder Hass – und unterscheidet sich das von dem, was du offline erlebst?
Ja, im Internet erlebe ich das täglich. Es gibt Kommentare, in denen mir das Schlimmste gewünscht wird oder in denen gefordert wird, ich solle Polen verlassen, weil ich Deutscher bin. Fast unter jedem Post tauchen Bemerkungen über Reparationszahlungen auf. Allein die Tatsache, dass ich als Deutscher auf Polnisch Content mache, ruft bei einigen heftige Reaktionen hervor. Soweit ich weiß, gibt es nicht viele Deutsche mit größerer Reichweite auf polnischsprachigen Kanälen – auf Instagram bin ich da wohl einer der wenigen. Entsprechend häufig bekomme ich Hasskommentare wie „Ein guter Deutscher ist ein toter Deutscher“. Solche Reaktionen sind online deutlich präsenter als im Alltag.
Vincent Helbig, bekannt als „Wasz Niemiec”Foto: privat
Wie hat sich dein Umgang mit Hasskommentaren im Laufe der Jahre verändert?
Am Anfang wusste ich nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Ich habe Instagram vor etwa zwei Jahren gestartet und zunächst noch versucht, auf manche Kommentare zu reagieren. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass es vielen einfach nur darum geht, Frust abzulassen. Heute konzentriere ich mich bewusst auf die positiven Rückmeldungen. Konstruktive Kritik beantworte ich gerne, aber auf reine Beleidigungen oder antideutsche Sprüche reagiere ich nicht mehr. Etwa 95 Prozent der Kommentare sind positiv und freundlich – das überwiegt ganz klar. Aber wenn man täglich Hunderte Kommentare bekommt, bedeuten selbst fünf Prozent Negatives, dass man 50 feindselige Nachrichten am Tag liest. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich versuche, das auszublenden, aber natürlich gelingt das nicht immer. Manche Tage stecke ich es locker weg, an anderen belastet es mich mehr.
„Man muss sich nicht zwischen Deutschland und Polen entscheiden – für mich gehören beide Orte zu meinem Zuhause.“
Gab es einen konkreten Auslöser, der dich dazu gebracht hat, deine Erfahrungen als Deutscher in Polen öffentlich zu teilen?
Mir ist es wichtig, dass Deutsche und Polen näher zusammenrücken. In der Politik wird oft das Bild vermittelt, dass unsere Völker eine ewige Feindschaft verbindet und ein gutes Miteinander kaum möglich sei. Daran glaube ich nicht. Natürlich gab es in der Geschichte schwere Konflikte, aber es gibt auch viele Beispiele für friedliches Zusammenleben – etwa in Schlesien, wo Deutsche und Polen lange Seite an Seite gewohnt haben. Heute leben rund 1,2 Millionen Menschen mit doppelter deutsch-polnischer Identität, und es gibt über 150.000 deutsch-polnische Ehen. Für mich sind das Beweise, dass Zusammenleben, Liebe und Frieden zwischen beiden Nationen möglich sind. Das möchte ich zeigen.
Du hast ja schon die deutsche Minderheit erwähnt. Hattest du mit ihr schon einmal Kontakt?
Ja, ich war in Oppeln bei der Buchmesse, die dort auf dem Marktplatz stattfindet. Ein Vertreter der deutschen Minderheit hat mich eingeladen, an einer deutschsprachigen Messe teilzunehmen. Das war eine sehr schöne und positive Erfahrung. Besonders beeindruckt hat mich der altschlesische Dialekt, den viele dort gesprochen haben – er erinnerte mich an den Dialekt meiner Großmutter aus Niederschlesien. Im Anschluss habe ich mich auch mit dem Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit getroffen, weil mich interessiert, wie es der deutschen Minderheit heute in Polen geht. Wir planen zudem ein gemeinsames Treffen am 14. Oktober in Gleiwitz, bei dem wir über deutsch-polnische Beziehungen und auch über mein Buch sprechen werden.
Vincent Helbig, Autor des Buches „Wasz Niemiec”Foto: privat
Dein Content hat einerseits etwas Persönliches, andererseits schlägt er Brücken zwischen zwei Gesellschaften, die politisch nicht immer im Einklang sind. Wo siehst du selbst den Schwerpunkt – Unterhaltung, Integration, Aufklärung?
Für mich ist es eine Mischung aus vielem, aber mein wichtigstes Ziel ist, dass Deutsche und Polen erkennen, wie viel sie gemeinsam haben. Ich möchte zeigen, dass Deutsche ganz normale Menschen sind – nicht so, wie sie manchmal politisch dargestellt werden. Viele Vorurteile, etwa dass Deutsche Polen noch immer wie eine Kolonie betrachten, entsprechen einfach nicht der Realität meines Umfelds. Gleichzeitig will ich auch deutschen Followern ein differenziertes Bild von Polen vermitteln. Das Land hat sich stark entwickelt, in manchem ist es Deutschland sogar voraus, und beide Seiten können voneinander lernen. Am Ende geht es mir darum, Brücken zu bauen – auf der Grundlage gemeinsamer Werte.
Wo fühlst du dich inzwischen mehr zu Hause – in Deutschland, in Polen oder irgendwo dazwischen?
Das ist die große Frage nach der Heimat, die mich schon lange beschäftigt. Meine Eltern zogen in den 90er Jahren aus dem Erzgebirge in Sachsen nach Halle (Saale), wo ich geboren wurde. Dort habe ich keine tiefen Wurzeln gespürt, denn keiner meiner Vorfahren hat dort je gelebt. Dann habe ich begonnen, in den Regionen meiner Großeltern – in Schlesien und Ostpreußen – nach Heimat zu suchen. Dort fühle ich mich sehr wohl, aber es ist letztlich ihre Heimat, nicht meine. Heute lebe ich in Polen und habe mein Lebenszentrum dorthin verlegt, weil ich vieles an diesem Land schätze. Gleichzeitig fühle ich mich auch in Deutschland zu Hause. Letztlich glaube ich, dass meine eigentliche, endgültige Heimat bei Gott liegt. Bis dahin möchte ich meinen Teil dazu beitragen, dass Deutsche und Polen sich näherkommen und historische Traumata überwinden. Man muss sich nicht zwischen Deutschland und Polen entscheiden – für mich gehören beide Orte zu meinem Zuhause.












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