Ein Brückenbauer mit schlesischen Wurzeln

wochenblatt.pl 1 godzina temu
Zdjęcie: Der Preis wurde überreicht von Cornelia Pieper (links) und Simona Koß Foto: privat


Im Gespräch mit Dr. Matthias Kneip

Manuela Leibig traf Dr. Matthias Kneip, den diesjährigen Träger des DIALOG-Preises, bei seinem jüngsten Besuch in Oppeln – einer Stadt, die für ihn weit mehr ist als nur ein Punkt auf der Landkarte. Sie ist ein Ort der Familiengeschichte, der persönlichen Entdeckungen und ein zentraler Baustein seiner unermüdlichen Arbeit für die deutsch-polnische Verständigung. Ein Gespräch über Heimatgefühle, polnische Weihnachtstraditionen in Bayern und die Herausforderung, als Kind fünf Versionen seines eigenen Namens zu lernen.

Sehr geehrter Herr Dr. Kneip, Sie sind heute ein anerkannter Experte für Polen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut. Doch Ihre Verbindung zu diesem Land, insbesondere zu Schlesien, ist tief in Ihrer Familiengeschichte verwurzelt. Was bedeutet es für Sie, in Oppeln zu sein?

Für mich ist es ein ganz anderes Gefühl, in Oppeln zu sein, als in Krakau, Warschau oder Danzig. Ich bin zwar in Regensburg geboren und in Bayern aufgewachsen, aber Oppeln ist der Ort, wo ich meiner Familiengeschichte sehr stark begegne. Mein Vater wuchs in Leschnitz auf, meine Mutter wurde in Gleiwitz geboren und ist hier in Oppeln aufgewachsen. Hier auf dem Friedhof an der Wrocławska Straße liegt meine Urgroßmutter Klara Pieke. Ihr Grab zu besuchen, ist für mich immer ein wichtiger Moment. Es ist ein Ort, an dem man sich unweigerlich die Frage stellt: Wie viel schlesisches Blut hat man eigentlich in sich?

Sie sind mit deutschen und polnischen Traditionen aufgewachsen. Wie sah das im Alltag aus, wenn man bedenkt, dass Sie als Kind gar kein Polnisch gesprochen haben?

Das ist eine der Kuriositäten meiner Biografie. Meine Eltern, die nach dem Krieg polonisiert wurden und zweisprachig waren, benutzten das Polnische zu Hause oft als eine Art Geheimsprache. Mit uns Kindern haben sie aber nie einen einzigen Satz Polnisch gesprochen. Trotzdem sauste dieser polnische Geist durch unsere Wohnung. Wir haben zum Beispiel immer polnisch Weihnachten gefeiert, mit Oblatenbrechen (Opłatki) und den masowischen Weihnachtsliedern (Kolędy). Ich wusste als Kind gar nicht, wie Bayern Weihnachten feiern! Diese Tradition habe ich übrigens beibehalten; auch meine Kinder feiern heute polnische Weihnachten und haben keine Ahnung von bayerischen Bräuchen.

Matthias Kneip in Oppeln.
Foto: Manuela Leibig

Wie kam es, dass Sie die Sprache nicht von Ihren Eltern gelernt haben?

Es fühlte sich zu Hause einfach nicht authentisch an. Es war nicht ihre Muttersprache im emotionalen Sinne. Ich habe mir Polnisch später selbst beigebracht, was den Vorteil hatte, dass ich heute genau weiß, wie schwer oder leicht die Sprache zu erlernen ist. Als Kinder beschränkte sich unser polnischer Wortschatz auf das Nötigste. Mein Bruder kann bis heute nur einen Satz: „Dziękuję, nie jestem głodny“ (Danke, ich bin nicht hungrig), weil wir auf einer Reise einmal so viel essen mussten. Das Wichtigste aber war, unsere eigenen Vornamen zu lernen – und zwar in allen Fällen.

Sie mussten Ihren eigenen Namen lernen?

(Lacht) Ja, denn wir wollten wissen, über wen unsere Eltern in ihrer „Geheimsprache“ reden. Im Polnischen wird ja dekliniert. Ich musste also lernen: Maciej, Macieja, Maciejowi, z Maciejem… und so weiter. Mein Name ist auf Polnisch Maciej, nicht Mateusz, wie viele Polen denken. Mein Bruder Thomas musste Tomek, Tomka, Tomkowi, Tomkiem lernen. Nur so wussten wir, wenn unser Name fiel, dass es um uns ging.

Was war der Auslöser, sich dann doch so intensiv mit Polen zu beschäftigen, dass es zu Ihrem Beruf wurde?

Der entscheidende Moment war, als mein Vater mir erzählte, dass er nach dem Krieg kein Deutsch sprechen durfte. Zwischen 1947 und 1949 war die deutsche Sprache hier verboten, es gab sogar Strafzettel dafür. Diese Politik der „Entdeutschung“ als Teil der Polonisierung hat mich tief beeindruckt und mein Interesse für die Lebensgeschichte meiner Eltern geweckt. Daraufhin habe ich begonnen, mir die polnische Sprache selbst beizubringen.

Der Preis wurde überreicht von Cornelia Pieper (links) und Simona Koß.
Foto: privat

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie angefangen haben, Bücher über Polen zu schreiben? Gab es da einen bestimmten Auslöser?

Der entscheidende Anstoß kam tatsächlich von einer sehr bedeutenden Persönlichkeit, dem Schriftsteller Tadeusz Różewicz. Er war ein Freund unserer Familie. Als ich 1995/96 hier in Oppeln an der Germanistik gearbeitet habe, besuchte ich ihn in Breslau, wo er lebte.

Bei einem dieser Besuche habe ich mich bei ihm beschwert. Ich sagte: „Stell dir vor, wenn ich in Paris wohnen würde, würden mich alle meine Freunde fragen, wann sie mich besuchen dürfen. Aber weil ich in Oppeln wohne, fragen alle nur, wann ich denn mal wieder nach Deutschland komme.“

Różewicz schaute mich nur an und sagte ganz schlicht: „Mach was damit.“

Der “Dialogpreis“ wird von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband (DPGBV) für Verdienste um den Dialog zwischen Deutschland und Polen vergeben und gilt als einer der renommiertesten Auszeichnungen im deutsch-polnischen Kontext. Foto: privat

Und dieser Satz hat gesessen. Ich habe verstanden, dass ich selbst aktiv werden muss, um diese Wahrnehmung zu ändern. Also habe ich angefangen zu schreiben. Mein erstes Buch, in dem ich sehr persönlich über meine Erfahrungen schrieb, war „Grundstein im Gepäck“. Später kam dann zum Beispiel das in Deutschland sehr bekannt gewordene Buch „111 Gründe, Polen zu lieben“ dazu. Aber der Ursprung von allem war dieser kurze, eindringliche Ratschlag von Tadeusz Różewicz.

Heute bringen Sie als Autor und Reiseleiter unzähligen Deutschen Polen näher. Sie haben sogar ein Kinderbuch geschrieben, um schon die Jüngsten vorurteilsfrei an das Nachbarland heranzuführen.

Die Idee war, ein junges Publikum in Deutschland auf eine subtile Art an Polen heranzuführen. Es soll sich nicht wie eine Lektion anfühlen nach dem Motto: „Ihr sollt dieses Buch lesen, damit ihr Polen kennenlernt.“ Stattdessen ist es eine süße Geschichte, die Kinder mögen und die zufällig in Polen spielt. So verankert sich das Land im Unterbewusstsein, und die Kinder sind später nicht mehr so offen für Vorurteile. Wenn sie dann etwas über Polen hören, erinnern sie sich vielleicht: „Ach ja, da war doch die Geschichte mit dem kleinen Dackel.“

Die Handlung spielt bewusst in Warschau, weil die Hauptstädte oft das Erste sind, was Kinder in der Schule lernen. Ein kleiner Dackel schläft im Zug von Berlin ein und wacht in Warschau wieder auf. Dort lernt er im Kulturpalast eine Katze kennen – und erfährt, dass es im Keller des Palastes bis heute einen richtigen „Katzenstaat“ gibt. Gemeinsam suchen sie die Schwester der Katze und erleben ein Abenteuer: Sie werden von einem großen Hund überfallen. Sie überleben aber, weil sich herausstellt, dass dieser große polnische Hund früher einmal von einem Deutschen gerettet wurde. Hier geht es dann auch um deutsch-polnische Verständigung und Versöhnung. Am Ende werden sie alle Freunde. Die Kinder lernen also ganz nebenbei polnische Orte wie die Weichsel oder die Sigismund-Säule kennen – und die wichtige Botschaft, dass aus einstigen Schwierigkeiten Freundschaft entstehen kann.

Matthias Kneip bekam den DIALOG Preis 2025 verliehen.
Foto: privat

Fühlen Sie sich als Brückenbauer?

Ich selbst sehe mich nicht so, aber die Arbeit, die ich seit über 30 Jahren mache, hat natürlich diesen Zweck. Es ist mein Ziel, den Deutschen das Land näherzubringen, weil ich es schade finde, dass es so nah ist und doch so unbekannt. Selbst Berliner, die nur eine eineinhalbstündige Fahrt von der Grenze entfernt leben, waren oft noch nie in Polen. Wenn sie dann mitfahren und Städte wie Krakau, Danzig oder Breslau sehen, sind sie begeistert. Und ich bin immer wieder überrascht, wie gut am Ende einer Schlesien-Reise das nette, kleine Oppeln als Ort zum Wohlfühlen ankommt.

Sie waren in den 90er-Jahren schon einmal beruflich in Oppeln und haben die Anfänge der deutschen Minderheit miterlebt. Nun sind Sie wieder öfter hier. Was zieht Sie zurück?

Damals war ich an der Germanistik tätig und habe Lehrer ausgebildet, als die deutsche Sprache als Muttersprache wieder eingeführt wurde. Ich war bei der Gründung der Zeitung „Wochenblatt“ dabei und hatte ein enges Netzwerk. Danach war ich lange nicht mehr hier. Ein wichtiger Grund für meine Rückkehr mit Reisegruppen ist das neue Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen. Es ist ein konkreter Anlaufpunkt, um unseren Gästen die Geschichte und Gegenwart der deutschen Minderheit authentisch zu vermitteln. Das hat mir als Baustein für meine Programme gefehlt. Und so schließt sich für mich der Kreis: Ich kann meine Arbeit mit dem Besuch am Grab meiner Urgroßmutter und den Erinnerungen an meine Familiengeschichte verbinden. Das macht Oppeln für mich so besonders.


Der DIALOG-Preis 2025

Der DIALOG-Preis wird von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e.V. vergeben. In der gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Kuratorium am 24. September 2025 wurde Dr. Matthias Kneip als diesjähriger Preisträger auserkoren.

Die Auszeichnung würdigt sein langjähriges und vielseitiges Engagement für die deutsch-polnische Verständigung, sowie sein Einsatz in der Vermittlung von Kenntnissen über Polen an die jüngere Generation in Deutschland.

Die feierliche Preisverleihung fand während des Kongresses „Nachbarschaft in der Mitte Europas“ am Freitag, den 21. November 2025 in Bremer Rathaus statt. Die Veranstaltung feierte gleichzeitig das 50-jährige Bestehen der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bremen.


Idź do oryginalnego materiału