Erinnerungen an das Café Kynast in Oppeln
Manche Begegnungen sind wie ein kleiner Stromstoß – unerwartet, aber unglaublich belebend. Vor einiger Zeit kam ich mit Frau Monika in Kontakt, deren Onkel einst das bekannte Café „Kynast“ in Oppeln führte. Bei diesem Austausch blieb es zunächst – bis einige Wochen später eine Nachricht in meinem Postfach landete:
„Liebe Frau Janik, ich habe das Rezept für den Mandelstollen meines Onkels Kurt Kynast gefunden. Es wurde von seiner zweiten Ehefrau Gesine handschriftlich notiert. Leider ist es das einzige Rezept, das erhalten geblieben ist – aber ich habe außerdem einen alten Zeitungsausschnitt sowie eine Postkarte, die an meinen Onkel adressiert war.“

Quelle: Schlesische Digitalbibliothek
Ein Rezept mit Geschichte
Am nächsten Morgen habe ich mir die Unterlagen gründlich angeschaut, die Zutaten überflogen – und direkt losgelegt. Beim ersten Lesen hatte ich die Mengenangaben gar nicht so genau beachtet. Doch dann stieß ich auf ein kleines Rätsel: eine ungewöhnlich große Menge Hefe im Verhältnis zu den übrigen Zutaten. Ich entschied mich, die Proportionen anzupassen und auf das Gesamtgewicht des Teigs zu beziehen. Für meinen ersten Versuch verwendete ich daher 40 g frische Hefe – anstelle der im Originalrezept angegebenen 300 g.

Quelle: Privatarchiv von Monika Ihler
Familienfotos und ein verschwundenes Café
In der Zwischenzeit teilte Frau Monika weitere Erinnerungsstücke aus dem Nachlass ihrer Mutter Ursula (1924 in Gleiwitz geboren). Ein besonderes Zeitdokument war dabei ein altes Foto, das das Familienunternehmen – das Kaffeehaus und die Konditorei „Café Kynast“ – zeigt. Es befand sich an der Ecke der damaligen Zimmerstraße (heute ul. 1 Maja) und Königsstraße 19 (heute ul. Plebiscytowa). Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1942.

Quelle: Privatarchiv von Monika Ihler
Hinter der Verkaufstheke der Konditorei stehen – von links nach rechts: Ursula (die Mutter von Frau Monika), Kurt, Erna, Alfred Kynast sowie eine Mitarbeiterin des Cafés.
„Manche Rezepte tragen den Duft einer ganzen Epoche in sich.“
Backen mit Erinnerungen
Beim Kneten des Teigs versetzte ich mich gedanklich in das Hinterzimmer der Opolener Konditorei – und folgte Schritt für Schritt den Anweisungen auf dem vergilbten Blatt Papier: dem Rezept von Kurt Kynast, das nun ein kostbares Familienerbstück ist. Ich fühlte mich ein wenig wie eine Schülerin – denn ein solches Gebäck hatte ich zuvor noch nie gebacken.

Quelle: Privatarchiv von Monika Ihler
Nur zu gern wüsste ich, wie das fertige Ergebnis damals ausgesehen hat, zu Zeiten des Café-Betriebs. Konnte man den Stollen vielleicht aus der Vitrine bestellen? Oder wurde er direkt auf dem Ladentisch präsentiert?
Ein Blick in die Vergangenheit
Auf einer weiteren Postkarte mit Innenansicht des Lokals von 1930 ist die schlichte Einrichtung des Gastraums zu erkennen – und hinter der Theke eine verlockende Auswahl an Süßspeisen. Der Mandelstollen gehörte wohl zur saisonalen Festtagsauslage rund um Weihnachten – eine edle Alternative zur fruchtigen Variante mit Trockenobst, die bis heute als Aushängeschild der Dresdner Backkunst gilt.

Foto: M. Janik
Mut, Mehl und Marzipan
Bislang hatte ich mich nie so recht getraut, einen Stollen selbst zu backen. Die typische Form erschien mir wie ein kleines Geheimnis aus der Welt der Konditorei. Doch die Geschichte mit Frau Monika und die Spurensuche in alten Zeitungsartikeln gaben mir den Mut, es einfach zu versuchen.
Und das mit Erfolg. Ich habe gleich zwei Exemplare gebacken – eines für uns, das andere als Geschenk. Der Stollen duftet wunderbar, schmeckt herrlich nach Mandeln und Marzipan – und wird für mich ab jetzt immer mit Oppeln, mit Frau Monikas Onkel Kurt Kynast und mit den längst vergangenen Genüssen eines Caféhauses verbunden bleiben.