Interview mit Benjamin Józsa
Mit Benjamin Józsa hat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) einen neuen Sprecher gewählt, der auf jahrzehntelange Erfahrung aus der Minderheitenarbeit in Rumänien zurückgreifen kann. Im Gespräch mit Andrea Polanski betont er, wie wichtig klare Kommunikation, Nachwuchsarbeit und eine starke politische Sichtbarkeit sind – und warum Minderheitenarbeit für ihn vor allem eines bleibt: Friedensarbeit.
Herr Józsa, herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Sprecher der AGDM. Sie haben langjährige Erfahrung in der Minderheitenarbeit in Rumänien. Welche Erfahrungen möchten Sie besonders in die Arbeit der AGDM einbringen?
Herzlichen Dank für die Glückwünsche. Der erste Grundsatz, den ich einbringen werde, ist: „Nicht ohne uns über uns sprechen.“ Dieser Grundsatz besagt, dass überall, wo über die deutsche Minderheit gesprochen wird, auch die deutsche Minderheit am Tisch sitzen muss. Mein Heimatverein ist mit diesem Grundsatz jahrzehntelang sehr gut gefahren; dieser kann auch in einem größeren Rahmen umgesetzt werden. Der zweite Grundsatz, mit dem ich ebenfalls gute Erfahrungen habe, ist, ein offenes Wort zu führen. Kommunikation ist immer unperfekt, da jeder seine eigenen Gedanken und Erfahrungen hat, deswegen muss man seine Meinung sehr genau artikulieren. Das werde ich tun. Last but not least: Da ich aus der Exekutive komme, habe ich mir eine effiziente, zeitschonende und disziplinierte Herangehensweise an alle Aufgaben angeeignet. Diese werde ich jeder Aufgabe zugrunde legen, der ich mich widmen werde.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der deutschen Minderheiten in Europa und Zentralasien? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Diese Frage ist schwer pauschal zu beantworten, da jede deutsche Minderheit ihre ganz spezifischen Probleme hat, mit denen sie kämpfen muss. Komplizierte Probleme gibt es z. B. in Georgien, wo sich die Gesetzeslage sehr zum Ungunsten der deutschen Minderheit geändert hat, oder in Slowenien, wo die deutsche Minderheit noch gar nicht anerkannt ist. Wir werden bei diesen und vielen anderen Problemen versuchen, Hilfestellung zu leisten und unsere Erfahrung einzubringen, um zu einer guten und tragfähigen Lösung zu kommen.
Viele deutsche Minderheiten kämpfen mit einer geringen Beteiligung junger Menschen in der Vereins- und Jugendarbeit. Rumänien gilt hier als positiver Vorreiter. Welche Maßnahmen oder Konzepte könnten Ihrer Meinung nach als „Best Practice“ auf andere Minderheiten übertragen werden?
Beste Erfahrungen haben wir mit dem frühzeitigen, engen Einbinden der Jugendlichen in die Vereinsarbeit. In dem Moment, in dem sie Verantwortung im Verein übernehmen, wachsen sie in alle Aufgaben hinein. Jugendspezifische Tätigkeiten wie Jugendcamps, Tanzgruppen, Workshops zu bestimmten Themen oder Medienseminare ziehen Jugendliche an und entwickeln ihre Interessen weiter. Neue Medien können unsere Inhalte schnell transportieren. Sie sehen: Hier muss man das Rad nicht neu erfinden. Sind die Tätigkeiten interessant, kommen auch interessierte Jugendliche. So einfach ist das.
„Deutsche Minderheiten sind ein riesiges Potenzial für unsere Heimatländer und Deutschland.“
Die Kulturarbeit in den deutschen Minderheiten erfordert oft Einsätze an Abenden oder Wochenenden. Bei niedrigen Gehältern, häufig nahe dem gesetzlichen Mindestlohn, fällt es schwer, Mitarbeitende zu motivieren. Viele wechseln deshalb in besser bezahlte Branchen. Sehen Sie Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu verbessern?
Diese Frage stellt sich immer wieder, schon seit den 90er Jahren, als ich in der Jugendarbeit tätig war. Leider werden wir nie die Löhne aus der Wirtschaft zahlen können. Aber unsere Arbeit gibt etwas anderes – etwas fast noch Wichtigeres: Sinn und Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn jemand bloß einen gut bezahlten Job sucht, wird er immer in die Wirtschaft gehen. Wer sich entwickeln möchte, frei gestalten und immer wieder neue, herausfordernde Aufgaben haben will, ist bei uns richtig. Um konkrete Rahmenbedingungen ändern zu können, sind die einzelnen Minderheitenverbände allerdings zu verschieden. Hier muss jedes Land prüfen, wie es die jeweiligen Bedingungen verbessern kann.
Wie wollen Sie das Bewusstsein für die Belange der deutschen Minderheiten in der Öffentlichkeit und bei politischen Entscheidungsträgern stärken?
Indem ich immer wieder herausarbeite, dass die deutschen Minderheiten in Europa und Zentralasien nicht nur Probleme haben, sondern ein riesiges, teilweise ungenutztes Potenzial. Wir Angehörige der deutschen Minderheiten sind in mindestens zwei Kulturkreisen zu Hause, sprechen mindestens zwei Sprachen und können beide Positionen verstehen und mitbedenken. Wir sind oft ein Stabilitätsanker in schwieriger Nachbarschaft und setzen uns zum Wohle beider Gesellschaften ein – der Mehrheit und der Minderheit.
In den letzten Jahren haben sich gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen verändert. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die deutschen Minderheiten?
Die allergrößte Herausforderung sehe ich im Sichern des Nachwuchses für die Organisationen. Wir leben in einer multipolaren Welt mit deutlich erhöhter Mobilität, in der wir unseren Platz behaupten müssen. Deswegen auch mein eingangs erwähntes Investieren in Köpfe: Wir müssen Nachwuchskräfte anziehen, bestens ausbilden und – koste es, was es wolle – halten. Ohne diese Trias ist jeder Verein, jede Organisation zum Scheitern verurteilt.
Eine zweite ständige Aufgabe ist das weitere Sichern der Förderung durch die Bundesrepublik Deutschland – nicht nur der materiellen, sondern auch der ideellen. Materielle Förderung durch Deutschland, verbunden mit der Förderung durch das Heimatland, ist die Grundlage für professionelles Arbeiten. Doch kommt der ideellen Förderung durch Bundes- und Länderpolitik ebenfalls eine große Rolle zu. Wenn Politiker aus Deutschland die Heimatländer der Minderheiten besuchen und auch die Minderheit treffen bzw. in ihre Siedlungsgebiete reisen, helfen sie doppelt: Sie verankern Deutschlands Interesse an seinen Minderheitengruppen und zeigen der Politik der Heimatländer, wie wichtig ihnen diese Minderheiten sind. Dies gilt umso mehr in Ländern, in denen es Spannungen zwischen Politik und Minderheit gibt. Hier können Besuche von Politikern und Engagement des deutschen Botschafters Wunder wirken und Wogen glätten, die auf andere Weise nur schwer zu glätten wären. Gesellschaften sind dynamisch geworden, daher muss diese ideelle Förderung immer wieder aufs Neue bekräftigt werden.
Die dritte Herausforderung begleitet die deutschen Minderheiten seit Jahrhunderten: der Stabilitätsanker in teils schwierigen Regionen oder Nachbarschaften zu sein. Ich weiß aus der Geschichte meiner Heimatregion Siebenbürgen, wie wichtig es ist, wenn eine Minderheit zum Wohle aller wirkt und sich gleichzeitig um Ausgleich zwischen konkurrierenden Kräften bemüht. Dieses Modell hat sich nicht nur bewährt, sondern ist meist das einzige gangbare Modell für dauerhaft friedliches Zusammenleben. Dafür werde ich mit Nachdruck werben – um erneut zu unterstreichen: Minderheitenarbeit ist immer Friedensarbeit.
Digitalisierung und moderne Kommunikationsmittel bieten neue Chancen für Vernetzung. Welche digitalen Strategien plant die AGDM unter Ihrer Leitung?
Um konkrete digitale Strategien zu planen, ist es noch etwas zu früh – ich bin erst seit einer Woche im Amt und noch im Kennenlernprozess. Neue Medien und Digitalisierung sind wichtig, aber ich sehe auch die Herausforderungen. Nicht alles ist besser, nur weil es digitalisiert ist oder auf Facebook oder Instagram steht. Am wichtigsten bleiben die Inhalte; das Digitale ist lediglich ein Hilfsmittel. Wenn die Inhalte stehen, werden wir auch die passenden Transportwege festlegen und bestmöglich kommunizieren.
Welche Botschaft möchten Sie den deutschen Minderheiten in Europa und Zentralasien mit auf den Weg geben, die Sie nun offiziell vertreten?
Die Botschaft muss ich nicht geben – die kennen wir alle schon: Wir deutschen Minderheiten sind ein riesiges Potenzial für unsere Heimatländer und Deutschland. Wir können hervorragend zum Wohle beider wirken. Meine Aufgabe ist es lediglich, dafür zu sorgen, dass diese Botschaft gehört wird.














