Das Allensteiner Stefan-Jaracz-Theater feiert im Jahr 2025 ein doppeltes Jubiläum. Begangen werden sowohl das 100-jährige Bestehen des Theaters als auch die 80-jährige Tradition einer polnischen Bühne in Allenstein. Über das ganze Jahr verteilt wird es verschiedene Veranstaltungen geben, um den Jubiläen eine feierliche Würdigung zu verleihen.
Wenn man mit dem Autobus Nummer 117 zur Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit fährt, muss man an der Haltestelle „Straße des 1. Mai/Stefan-Jaracz-Theater“ aussteigen. Im Moment wird diese nicht von der gelangweilten Männerstimme angekündigt, die üblicherweise die Passagiere des Nahverkehrs Allensteins nicht selten auf die Palme bringt, sondern von einer weiblichen schwungvollen Stimme mit dem Slogan „Stefan-Jaracz-Theater. Hier beginnt seit 100 Jahren die Kultur.“
Kontinuität des Theaters an sich?
Das Theater in Allenstein feiert unter dem Motto „100 für das Hundertste“ sein 100-jähriges Bestehen, und die Ansage im Bus gehört zur Werbung für alle Feierlichkeiten, die in diesem Jahr anstehen. Das Besondere ist jedoch, dass das Stefan-Jaracz-Theater erst sein 80. Jubiläum feiert, denn erst 1945 wurde das Theater polnisch und 1946 dann nach dem Schauspieler benannt. Davor – tatsächlich vor 100 Jahren – war die kulturelle Einrichtung hinter dem Rathaus als Treudank-Theater gegründet und erbaut worden.
„Stefan-Jaracz-Theater. Hier beginnt seit 100 Jahren die Kultur.“

Foto: Uwe Hahnkamp
Die heutigen polnischen Kulturschaffenden sehen ihre Arbeit als Fortsetzung der theatralischen Aktivitäten in diesem Gebäude vor dem Krieg. Das ist verwunderlich, ist doch das Treudank-Theater ein Ergebnis der deutsch-polnischen Auseinandersetzungen bei der Volksabstimmung im südlichen Ostpreußen, und der Konflikte zwischen deutschem und polnischem Schulwesen, Zeitungen auf Polnisch und Deutsch und kulturellen Veranstaltungen in den jeweiligen Sprachen. Doch das Theater wird mit beiden Jubiläen gefeiert – ein hoffnungsvolles Zeichen, dass die Animositäten endlich der Vergangenheit angehören.
Wechselvolle Theatergeschichte
Bereits für die Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es im südlichen Ostpreußen Dokumente und Berichte von Wandertheatern, die die Einwohner der Region erfreuten. Das arme Land und selbst die Städte erlaubten aus wirtschaftlichen Gründen nicht den Betrieb eines festen Ensembles. Dies änderte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg, als das Theater im Vorfeld der Volksabstimmung 1920 eine politische Dimension erhielt.

Quelle: www.kultur-in-ostpreussen.de
Eine Person, die sich vor dieser Abstimmung stark für den Verbleib der südlichen Landkreise Ostpreußens beim Deutschen Reich engagierte, war Max Worgitzki. Er hatte ein Medizinstudium abgebrochen, dafür das Studium der Kunstgeschichte und Literatur beendet und von seinem Vater eine gutgehende Molkerei übernommen, die er erfolgreich weiterführte. In seinem Eintreten war er sehr hitzig, er wird dem Deutschen Ostmarkenverein (polnisch nach den Anfangsbuchstaben seiner drei Anführer Hakata) zugerechnet, der in der polnischen Geschichtsschreibung einen sehr negativen Ruf hat, weil er gegen die polnische Minderheit hetzte…
Das Allensteiner Theater – ein Haus der Kultur, das Kriege, politische Umbrüche und Neuanfänge überlebt hat.
Im Bau eines Theaters in Allenstein sah er ein Mittel zur Bekämpfung der polnischen Agitation. Diese Idee setzte er nach der für die deutsche Seite sehr erfolgreichen Volksabstimmung konsequent in die Tat um. Er gründete 1922 die Landestheater Südostpreußen GmbH und erwarb von der Allensteiner Stadtverwaltung das Grundstück hinter dem Rathaus, auf dem das Gebäude bis heute steht.
Traum umgesetzt und verloren

Quelle: Wikipedia / Antekbojar
Für das Projekt des Theatergebäudes konnte der Architekt August Feddersen gewonnen werden, der bereits mehrere bekannte Gebäude in Allenstein entworfen hatte. Dazu gehören die Mühle beim Allensteiner Bahnhof, die Freimaurerloge in der heutigen ulica Kajki und die ihr gegenüber liegenden Gebäude. Feddersen legte seine Pläne im Oktober 1924 vor, sodass das Theater 1925 zum fünften Jahrestag der Volksabstimmung in Ostpreußen in Betrieb genommen werden konnte. Das Theater erhielt in Bezug auf das überwältigende Ergebnis von 1920 den Namen „Treudank“, also Dank für die Treue der ostpreußischen Bevölkerung zum Deutschen Reich. Anfangs wurden nicht nur Theaterstücke, sondern auch Opern und Operetten aufgeführt. Trotz des neuen festen Standorts ging die Theatergruppe aber weiterhin auf Tour.
Das Theater erhielt in Bezug auf das überwältigende Ergebnis von 1920 den Namen „Treudank“
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war auch Worgitzkis Traum vorbei. Er selbst starb übrigens bereits 1937. Durch einen glücklichen Zufall brannten die Soldaten der Roten Armee das Theatergebäude nicht nieder. Beschädigt wurde es dennoch, konnte aber trotzdem schnell wieder in Betrieb genommen werden. Im Mai 1945 übergab der russische Militärkommandant von Allenstein in den Räumen des „Treudank“-Gebäudes die Stadt an Jakub Prawin, den Bevollmächtigten der polnischen Regierung. Eines der ersten im ehemaligen „Treudank“ aufgeführten polnischen Theaterstücke war anschließend am 18. November 1945 das bekannte Werk „Moralność Pani Dulskiej“ (deutsch „die Moral von Frau Dulska“).

Quelle: Wikipedia / Koncern Ilustrowany Kurier Codzienny
Auch in den neuen, polnischen Zeiten war das Ensemble viel in der Region unterwegs und bis heute suchen die Verantwortlichen den Weg nach außen.

Foto: Uwe Hahnkamp
Seit 1946 trägt das Theater den Namen von Stefan Jaracz. Er war noch in Österreich-Ungarn geboren, Schauspieler und Theaterintendant vor allem in Warschau. Im Zweiten Weltkrieg geriet er dort in Verbindung mit dem Mord an einem Gestapo-Spitzel in die Hände der Nazis, landete im Gefängnis und 1941 auch für kurze Zeit in Auschwitz. Eine Karriere nach Ende des Zweiten Weltkriegs war ihm nicht mehr vergönnt, er starb im August 1945 an den gesundheitlichen Folgen seiner Inhaftierung. Ihm zu Ehren heißt es nun im Allensteiner Autobus „nächster Halt, Stefan-Jaracz-Theater“ und in diesem Jahr dazu noch „Hier beginnt seit 100 Jahren die Kultur“. Auf dass die Tradition noch lange bestehen möge!
Uwe Hahnkamp