Strukturwandel im deutsch-polnischen Dialog: Kommunale Erfahrungen aus Bayern und Oberschlesien
Der Strukturwandel ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit – nicht nur auf nationaler oder europäischer Ebene, sondern ganz konkret vor Ort, in den Städten und Gemeinden. Diesem Thema widmete die Hanns-Seidel-Stiftung vom 6.-8. April ein Dialogprogramm in Beuthen und Kattowitz. Vier Vertreter bayerischer Kommunen konnten so Einblicke in die Strategien und Maßnahmen gewinnen, mit denen polnische Städte den Wandel aktiv gestalten.
Industrieller Wandel in Beuthen: Kreative Nachnutzung historischer Gebäude
Im Mittelpunkt standen der Austausch von Erfahrungen, der Aufbau von Netzwerken sowie der Blick auf erfolgreiche Projekte im Bereich Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung und sozialer Zusammenhalt. Die Reise bot nicht nur die Möglichkeit zum fachlichen Dialog, sondern auch zur Reflexion über eigene Herausforderungen und Potenziale im Umgang mit dem Strukturwandel vor Ort in Bayern.

Fotos: A. Polanski
Den Auftakt machte eine Besichtigung des Klettersportzentrums „Skarpa“ sowie des Tanztheaters „Rozbark“ – beides Beispiele für die gelungene Umnutzung historischer Industriebauten. Das Gelände gehörte früher zum Bergwerk Rozbark und wurde erfolgreich umstrukturiert. Markus Ehm, Leiter des Regionalprojekts Mitteleuropa der HSS, zeigte sich vom Objekt sichtlich beeindruckt:
„Die Kletterhalle ist eine der größten in Europa, wie wir erfahren haben. So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gesehen – das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man ein ehemaliges Bergbaugelände auf moderne und sinnvolle Weise neu nutzen kann.“
Auch die bayerischen Gäste teilten diese Begeisterung.
Kommunale Energiewende: Gemeinsamkeiten zwischen Bayern und Oberschlesien
Am folgenden Tag stand u. a. ein Runder Tisch zum Thema „Energiewende auf kommunaler Ebene“ auf dem Programm. In Zusammenarbeit mit dem Jagiellonen-Klub brachte die Hanns-Seidel-Stiftung bayerische und polnische Kommunalpolitiker zusammen, um den Austausch von Erfahrungen und Strategien zu fördern.
Obwohl Bayern und Oberschlesien in vielerlei Hinsicht unterschiedlich sind, wurde schnell deutlich, dass die Kommunalvertreter bei der Energietransformation vor ähnlichen Herausforderungen stehen. In beiden Regionen steht der Ausbau erneuerbarer Energien weit oben auf der Agenda – genauso wie der Umgang mit Fragen der Energiespeicherung und die aktive Einbindung der Bevölkerung.
Deutsch-polnischer Erfahrungsaustausch im Bereich Stadt- und Regionalentwicklung
Renate Schön, Erste Bürgermeisterin der Gemeinde Wildpoldsried – seit Jahren bayerischer Vorreiter in Sachen Klimaschutz, regenerativer Energiegewinnung und Energieeinsparung – nahm zum ersten Mal an einem Programm der HSS in Polen teil.
„Solche Initiativen ermöglichen einen gezielten fachlichen Austausch, der für beide Seiten äußerst bereichernd ist,” betonte Schön. “Der direkte Dialog mit Bürgermeistern sowie Vertretern der Verwaltung eröffnet wertvolle neue Perspektiven. Besonders beeindruckt hat mich die Entschlossenheit, mit der der Strukturwandel in der Region vorangetrieben wird – insbesondere der anspruchsvolle Übergang von der Kohle hin zu nachhaltigen Energieträgern. Der persönliche Austausch bietet wichtige Impulse, die sich in die eigene kommunalpolitische Arbeit einbringen lassen.“

Fotos: A. Polanski
Neben Bürgermeisterin aus Wildpoldsried nutzten auch weitere kommunale Vertreter aus Bayern die Gelegenheit zum intensiven Austausch mit ihren polnischen Kolleginnen und Kollegen. Tanja Flemmig, Leiterin des Stadtplanungsamtes Regensburg, Alexander Legler, Landrat des Landkreises Aschaffenburg, sowie Karlheinz Roth, Erster Bürgermeister der Gemeinde Spiegelau, brachten dabei ihre jeweiligen Erfahrungen aus Stadt- und Regionalentwicklung, Verwaltungsmodernisierung und kommunalem Klimaschutz ein. Die Gespräche zeigten, wie wertvoll der grenzüberschreitende Dialog für die Entwicklung neuer Perspektiven und gemeinsamer Lösungsansätze im Umgang mit dem Strukturwandel sein kann.
Politische Perspektiven zum Kohleausstieg in Polen
Im Anschluss vertieften die Kommunalpolitiker das Thema. Bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Politische und gesellschaftliche Herausforderungen des Kohleausstiegs im Kontext der polnischen Präsidentschaftswahlen 2025“ setzten Halina Bieda, Senatorin (KO) für den Wahlkreis Bytom-Zabrze und stv. Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Senatsgruppe, sowie Dr. Tomasz Słupik, Dozent des Instituts für Gesellschaftswissenschaften der Schlesischen Universität in Kattowitz Impulse.
Demografische Entwicklungen und die Rolle der deutschen Minderheit
Am Dienstag stand für die bayerische Delegation nach einem Austausch mit Leszek Pietraszek, dem stellvertretenden Woiwodschaftsmarschall der Woiwodschaft Schlesien, und einer Besichtigung des Schlesischen Parlaments ein weiteres Treffen auf dem Programm: ein Gespräch mit Rafał Bartek, dem Vorsitzenden des Regionalparlaments der Woiwodschaft Oppeln sowie Vorsitzenden des Verbandes deutscher sozial-kultureller Gesellschaften in Polen.
Im Mittelpunkt des Gesprächs standen zentrale Herausforderungen der Region, insbesondere die demografische Entwicklung als Zukunftsaufgabe für die Woiwodschaft Oppeln. Diskutiert wurde die Notwendigkeit systematischer Unterstützung angesichts sinkender Bevölkerungszahlen sowie der zunehmenden Unterschiede zwischen städtischen Zentren und peripheren, ländlich geprägten Gebieten.

Fotos: A. Polanski
Auch das Thema der deutschen Minderheit stieß bei den Gästen aus Bayern auf großes Interesse. Rafał Bartek erläuterte, dass die deutsche Minderheit trotz rückläufiger Mitgliederzahlen nach wie vor eine wichtige Rolle für die Region spielt. Dies sei nicht zuletzt auf die Präsenz der deutschen Sprache, die kulturellen Verbindungen und das wirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmen zurückzuführen. Diese investierten gezielt in die Region, schaffen Arbeitsplätze und tragen zur vergleichsweise niedrigen Arbeitslosigkeit in der Woiwodschaft bei.
„Die deutsch-polnische Partnerschaft lebt von der Begegnung. Deshalb freue ich mich besonders, dass Vertreter aus bayerischen Kommunen und der Regionalverwaltung hierhergekommen sind, um unsere Region kennenzulernen. Solche Programme im kleinen Rahmen ermöglichen direkte Eindrücke und echte Begegnungen – das ist unbezahlbar“, betonte Rafał Bartek.
Rafał Bartek: „Die deutsch-polnische Partnerschaft lebt von der Begegnung. Deshalb freue ich mich besonders, dass Vertreter aus bayerischen Kommunen und der Regionalverwaltung hierhergekommen sind, um unsere Region kennenzulernen.
Er unterstrich zudem die Bedeutung persönlicher Formate für einen nachhaltigen Austausch:
„Ich hoffe, dass unsere Gäste nun ein besseres Verständnis dafür haben, wie die Dinge hier vor Ort funktionieren. Genau deshalb sind solche Programme so unglaublich wichtig. Ich bin der Hanns-Seidel-Stiftung sehr dankbar, dass sie diesen beidseitigen Austausch fördert – nicht mit großen Delegationen, sondern bewusst im kleinen Kreis. So wird echter Dialog möglich.“
Bedeutung direkter Begegnungen für den europäischen Strukturwandel
Zum Abschluss des Programms zog Markus Ehm, Organisator und Leiter des Regionalprojekts Mitteleuropa der Hanns-Seidel-Stiftung, ein positives Fazit. Er betonte den gegenseitigen Lernprozess zwischen Deutschland und Polen:
„Ich habe den Eindruck, dass uns in Deutschland manchmal genau dieser Optimismus und der Wille, die Zukunft aktiv zu gestalten, ein Stück weit fehlt. Gleichzeitig darf dieser Optimismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wandel Zeit braucht. Es braucht Ausdauer und Durchhaltevermögen, um ambitionierte Pläne wirklich umzusetzen.“