Hochbehälter Ohra
Das unterirdische Herz des alten Danzigs
Er sieht aus wie eine unterirdische Kathedrale aufgrund seines bogenförmigen Gewölbes. Tatsächlich handelt es sich um einen Wasserbehälter. Auf den Hügeln in der Nähe des Orunia-Parks verbirgt sich unter einer Schicht aus Erde und Zeit dieses außergewöhnliche Bauwerk – der Hochbehälter Ohra. Obwohl seine Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, fasziniert er noch immer durch seine Konstruktion, Funktion und Bedeutung für die Entwicklung Danzigs.
Wasser und Gesundheit – Beobachtungen des Arztes Liévin
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wies der Danziger Arzt Albert Liévin (1810–1881) auf den engen Zusammenhang zwischen sanitären Zuständen und der Gesundheit der Bevölkerung hin. In einer gut dokumentierten Studie zeigte er auf, dass Epidemien am häufigsten in den ärmsten Stadtteilen ausbrachen, wo die Menschen unter extrem schlechten hygienischen Bedingungen lebten und keinen Zugang zu sauberem Wasser hatten. Seine Forschungen wurden zu einem der zentralen Argumente für den Bau eines modernen Wasser- und Kanalisationssystems in Danzig. Er betonte, dass die Sicherstellung eines breiten Zugangs zu Trinkwasser und die wirksame Ableitung von Abwasser nicht nur eine Frage des Komforts sei, sondern ein Kampf um Leben und Gesundheit der Bewohner.
Die Stadt brauchte Wasser – Beginn eines großen Projekts
Als Reaktion auf diese Herausforderungen begann der damalige Oberbürgermeister Leopold von Winter mit der Umsetzung eines ehrgeizigen Modernisierungsprogramms für das Wasser- und Kanalisationssystem der Stadt. Ein zentraler Bestandteil dieses Plans war der Hochbehälter Ohra, der 1869 fertiggestellt wurde.

Fotos: Danziger Wasserversorgungsweg
Dieser Speicher war der erste moderne Wasserbehälter Danzigs – er wurde durch Schwerkraft mit Wasser aus Prangenau (Pręgowo) gespeist und leitete es ebenfalls mittels Schwerkraft in das städtische Leitungsnetz weiter. Obwohl er eine ähnliche Funktion wie ein Wasserturm erfüllte, war er außergewöhnlich – unterirdisch verborgen und so konstruiert, dass das natürliche Gelände optimal genutzt wurde.
Der Ingenieur mit Vision – Eduard Friedrich Wiebe
Der Entwurf stammt von Eduard Friedrich Wiebe, einem preußischen Architekten und Ingenieur, geboren in den Weichselniederungen. Nach seiner Ausbildung in Berlin und Erfahrungen im Ausland (unter anderem in Frankreich und Großbritannien) spezialisierte sich Wiebe auf die Planung moderner Kanal- und Wasseranlagen. In Danzig entwarf er nicht nur den Behälter in Ohra, sondern das gesamte Kanalisationssystem, das nach zahlreichen Anpassungen in den Jahren 1869–1871 genehmigt und realisiert wurde.
„Der Hochbehälter Ohra war der erste Behälter, aus dem mittels moderner Wasserleitungen Wasser zu den Danzigern floss – und damit den Anfang eines Systems bildete, das das Leben der Stadtbewohner revolutionierte.“
Wiebe dachte systematisch und verband in seinen Lösungen Praktikabilität mit einer modernen Vision nachhaltiger Wasserwirtschaft. Dank ihm war es möglich, die Bevölkerung nicht nur mit Wasser zu versorgen, sondern auch das Abwasser der Stadt effizient abzuleiten.

Foto: Wikipedia
Architektur und Geheimnisse des Untergrunds
Der Behälter in Ohra wurde auf einem quadratischen Grundriss mit einer Seitenlänge von 40 Metern errichtet. Sein Inneres aus rotem Backstein erinnert an sakrale Architektur: Gewölbe, Arkaden und Schiffe lassen an eine unterirdische Kathedrale denken. Dieses Gefühl wird durch das Lichtspiel und die Kühle im Inneren verstärkt. Häufig wird der Behälter mit der „Unterirdischen Kathedrale“ in Lodz oder den Filtern in Warschau verglichen – mit dem Unterschied, dass der Danziger Behälter älter ist als diese.

Fotos: Danziger Wasserversorgungsweg
Während kürzlicher Renovierungsarbeiten wurde in einer Ziegelwand eine Zeitkapsel entdeckt – eine Glasflasche mit einem vermutlich von den Erbauern hinterlassenen Dokument. Darauf ist deutlich das Jahr 1869 zu erkennen. Das Dokument, leider teilweise unleserlich, kann heute in einem anderen unterirdischen Bauwerk, dem Hochbehälter Stary Sobieski, besichtigt werden.
Das zweite Leben des Behälters
Obwohl der Behälter 1978 außer Betrieb genommen wurde, geriet er nicht in Vergessenheit. Im Gegenteil: Heute ist er ein wertvolles technisches Denkmal und ein wichtiges Fledermausquartier. Das spezifische Mikroklima im Inneren hat dazu geführt, dass sich Kolonien dieser geschützten Säugetiere dort angesiedelt haben. Deshalb ist eine Besichtigung nur vom 1. Juni bis Ende August möglich – bevor die Fledermäuse in den Winterschlaf gehen.

Fotos: Danziger Wasserversorgungsweg
Das Objekt wurde für Besichtigungen geöffnet und dabei sein ursprüngliches Aussehen bewahrt – die Ziegelpatina und die Raumaufteilung blieben unberührt. Ein Besuch an diesem Ort ist eine wahre Zeitreise und eine Gelegenheit, die Geheimnisse der historischen Wasserbaukunst kennenzulernen.
Praktische Informationen
- Adresse: Kampinoska-Straße 61, 80-180 Danzig
• Besichtigung: von Juni bis Ende August
• Zugang: von der Nowiny-Straße
• Attraktionen: historisches Inneres, Geschichten zum Wassersystem, Ausstellung über Eduard Wiebe