Geschichte in Reichweite
Warum nennen ältere Menschen in Polen Turnschuhe „Pepegi“? Und was haben sie mit Graudenz zu tun? Und was hat Allenstein Graudenz genommen? Diese Rätsel klärte für die Mitglieder des Vereins der deutschen Minderheit in Graudenz ihr Vorsitzender Andreas Gehrke.
Graudenz. Mit dem Herbstbeginn nahm die Gesellschaft der deutschen Minderheit in Graudenz ihre Veranstaltungsreihe zur Geschichte der Stadt und ihrer bedeutenden Persönlichkeiten wieder auf. Am Samstag, dem 25. Oktober, stand Samuel Halperin im Mittelpunkt.
Wer war dieser Mann – und hat er sich für Graudenz verdient gemacht?
Samuel Halperin, geboren 1897, starb am 30. Dezember 1933 in Ruiselede in Belgien. Er war ein polnischer Kaufmann und Unternehmer jüdischer Abstammung, Gründer und Präsident der Polnischen Gummiunternehmens-Aktiengesellschaft in Graudenz, bekannt als „PePeGe“. Das Wort „Pepegi“, umgangssprachlich für Turnschuhe, leitet sich von dieser Abkürzung ab.
Samuel Halperin, geboren 1897, starb am 30. Dezember 1933 in Ruiselede in Belgien. Er war ein polnischer Kaufmann und Unternehmer jüdischer Abstammung, Gründer und Präsident der Polnischen Gummiunternehmens-Aktiengesellschaft in Graudenz, bekannt als „PePeGe.
Halperin stammte aus Baranowicze. Er vertrat vermutlich zehn Jahre lang die Firma Hutchinson in Berlin und betrieb ein Geschäft für Gummimäntel in Warschau. 1923 eröffnete er in Graudenz die erste Gummifabrik in Polen, ebenfalls unter dem Namen PePeGe. Die Fabrik produzierte Gummischuhe und entwickelte sich bereits 1928 zu einer der größten Schuhfabriken Polens sowie zu einer der größten Gummifabriken Europas. Das Unternehmen stellte unter anderem gummierte Textilien, Reifen, Fahrradschläuche, Gummischläuche, Mäntel und Jacken her. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs im Jahr 1929 beschäftigte Halperin 5.558 Arbeiter und 297 Angestellte in seinen Werken in Graudenz, Frideck und Warschau. Das Unternehmen unterhielt eigene Warenlager in Polen (Baranowicze, Danzig, Grodno, Kielce, Krakau, Lemberg, Lodsch, Posen, Riwne, Warschau, Vilnius) sowie im Ausland (Berlin, Bukarest, Kopenhagen, Riga, Wien). Halperin exportierte seine Produkte in 23 Länder.
Mit dem Herbstbeginn nahm die Gesellschaft der deutschen Minderheit in Graudenz ihre Veranstaltungsreihe zur Geschichte der Stadt und ihrer bedeutenden Persönlichkeiten wieder auf.Foto: Gesellschaft der Bevölkerung Deutscher Abstammung in Graudenz
Zum Jahreswechsel 1929/1930 geriet das Unternehmen infolge der gesamteuropäischen Rezession in eine Finanzkrise. Gleichzeitig wurde Halperin angeklagt, Einkünfte in Steueroasen versteckt zu haben. Ihm wurde zudem vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Eröffnung des Werks „Standard Marienburger Gummiwerke“ mit der deutschen Regierung zusammengearbeitet zu haben. Er wurde für acht Monate verhaftet und zusammen mit seinem Bruder und seinem Geschäftspartner im Gefängnis in Graudenz festgehalten. Außerdem wurde ihm eine Geldstrafe von 14 Millionen Złoty auferlegt. Er starb bei einem Flugzeugabsturz in Ruiselede auf dem Flug von Brüssel nach London.
Halperin war Zionist. Er besuchte Palästina und unterstützte die Gründung des Staates Israel finanziell. Sein Vermögen wurde auf 30 Millionen Złoty geschätzt.
Das Unternehmen überlebte seinen Gründer.
Nach dem Krieg wurden die Gummiindustriebetriebe „Stomil“ in Graudenz auf der Grundlage des verstaatlichten PePeGe-Werks gegründet. Der Betrieb wurde umfassend erweitert und modernisiert. Die Produktion wurde auf neue Erzeugnisse ausgedehnt, darunter Filzgummischuhe, pneumatische Boote und Matratzen, Rettungsflöße, neuartige Sohlenplatten, PVC-spritzgegossene Strandschuhe, Schwimmflossen und -masken sowie Taucherbekleidung. Stomil beschäftigte fast 6.000 Mitarbeiter und war ein Gigant der Branche. Es gab kaum eine Familie, die nicht mit Stomil verbunden war. „2001 musste Stomil aufgrund der neuen wirtschaftlichen Lage leider Konkurs anmelden“, erinnert sich Andreas Gehrke.
Und was hat Allenstein Graudenz genommen?
„Als die polnischen Behörden den Bau eines Reifenwerks erwogen, planten sie zunächst einen Standort in der Nähe von Graudenz als Erweiterung des bereits bestehenden Unternehmens. Letztendlich fiel die Wahl jedoch auf Allenstein, da es dort keinerlei Industrie gab“, fügt der Vorsitzende hinzu.









