22. Sonntag im Jahreskreis – C
1. Lesung: Sir 3, 17–18.20.28–29
2. Lesung: Hebr 12, 18–19.22–24a
Evangelium: Lk 14, 1.7–14
An der Schwelle
Erneut stehen wir in diesem Jahr an einer Schwelle. Es ist das Ende der Sommerferien und der Beginn eines neuen Schuljahres für Grundschulen, weiterführende Schulen und Gymnasien. An dieser Schwelle stehen wir mit dem, was hinter uns liegt. Es sind Erinnerungen an vergangene Tage. Wir schauen uns Fotos von Orten an, die wir besucht haben, Gesichter von Menschen, die wir neu kennengelernt haben, wir denken an atemberaubende Landschaften. In unserer Rückschau erreichen wir noch einmal die Erfahrungen, die uns gestärkt haben, oder solche, die uns bis heute als Warnung dienen. An der Schwelle schließen wir einen Lebensabschnitt ab, nämlich die schulfreien Wochen. An der Schwelle blicken wir jedoch vor allem in die Zukunft. Vor uns liegt ein neuer Lebensabschnitt, den wir beginnen müssen (beginnen sollten). Das Schuljahr lässt sich nicht umgehen. Weder Eltern noch Lehrer noch Schülerinnen und Schüler können das tun. Für viele ist dieser Blick in die Zukunft mit viel Hoffnung verbunden, dass es ein weiteres Jahr der guten Entwicklung für alle sein wird, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Unsere Gedanken an die Zukunft werden jedoch auch von Ängsten begleitet. Was wird aus einer Generation werden, die nicht in die Welt der religiösen und ethischen Werte eingeführt wird? Wie wird eine Generation sein, die die grundlegenden Wahrheiten und Gesetze des Lebens, die für eine reife Menschlichkeit wichtig sind, nicht kennenlernt? Auf welcher Grundlage wird die Liebe in Ehe und Familie beruhen, wenn Egoismus allgegenwärtig wird und intime Beziehungen auf egoistische Lustbefriedigung reduziert werden? Diese Befürchtungen sind berechtigt, denn die Manipulation des menschlichen Bewusstseins hat katastrophale soziale Auswirkungen. Das lehrt und die Geschichte.

Ohne Einschränkungen und Hemmungen
Die Propaganda der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts zeigt, welche tragischen Folgen die Manipulation des menschlichen Bewusstseins haben kann. Sowohl der sowjetische Kommunismus als auch der deutsche Nationalsozialismus schafften es, der Mehrheit der Bevölkerung, auf die sie Einfluss hatten, ihre verbrecherischen Ideologien aufzuzwingen. Es gab nur wenige Oppositionelle, und diese bezahlten ihren Widerstand und ihre Kritik oft mit dem Leben. An diese schrecklichen Zeiten erinnert der 1. September 1939. An den damaligen Krieg und an die Kriege der Gegenwart denken wir mit Unruhe und großer Besorgnis. Der deutsche Nationalsozialismus brach infolge der Kriegsniederlage zusammen. Es gelang mehr oder weniger, ihn zur Rechenschaft zu ziehen und rechtlich aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Der sowjetische Kommunismus brach aufgrund seiner eigenen Schwächen zusammen. Die Verbrechen dieses Systems konnten nicht wirksam aufgeklärt werden. Die angewandte „Versöhnung durch Vergessen” führte dazu, dass die kommunistisch-sozialistische Ideologie vor unseren Augen erneut auflebt und den öffentlichen Raum besetzt. Diese Prozesse sind in der Profilierung des Schulwesens sichtbar. Dies äußert sich u.a. in der Einschränkung des Einflusses von Mutter und Vater (Eltern) auf die Erziehung ihrer Kindern (und Jugendlichen) und der eindeutigen Ausgrenzung von spirituellen Werten, für die das Christentum steht. Das ist beunruhigend. Es erschüttert unsere Hoffnung auf eine humane Zukunft. Diese sollte dem Menschen als psychophysischem und zugleich spirituellem Wesen zuteilwerden. Das materialistische und liberale (im Sinne von totaler Freiheit ohne Grenzen) Verständnis des Menschen ist frei von existentieller, lebensnaher Realität.

Die Schwelle der Hoffnung überschreiten
Wenn wir vor neuen Lebensabschnitten stehen, befinden wir uns vor verschiedenen Schwellen. Das können Schwellen zum gemeinsamen Leben zu zweit sein, Schwellen zum Erfolg, zur beruflichen oder wissenschaftlichen Karriere, zum materiellen Wohlstand. Oft sind es Schwellen, die wir überschreiten, wenn Ärzte uns aus einer Krankheit herausführen, wenn wir unsere Ängste und Befürchtungen überwinden. Über die Schwellen zur Freiheit gehen wir, wenn wir jegliche Süchte und Abhängigkeiten hinter uns lassen. Im religiösen Leben stehen wir vor der Schwelle oder an der Schwelle der Hoffnung. Wenn wir sie überschreiten, betreten wir den Raum des spirituellen Lebens. Sein Wesen ist die Verbindung mit Gott und die Beziehung zum anderen Menschen auf der Grundlage der Weisheit, die von Gott kommt. Es gibt viele Getaufte, die draußen stehen, vor der Schwelle der Hoffnung, vor dem Gotteshaus, welches sie nicht betreten, und vor der Weisheit, der sie sich nicht nähern. Die Hoffnung des Menschen ist Gott, insbesondere Jesus Christus, der allen nahe ist. Das Überschreiten der Schwelle der Ängste, Unsicherheiten und Zweifel mit neuer Hoffnung in Richtung des Lehrers, Meisters und Erlösers ist der Beginn der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Deshalb betont der Brief an die Hebräer: „Ihr aber seid zum Berg Zion gekommen, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu einer unzählbaren Schar von Engeln, zu einer feierlichen Versammlung, zur Kirche der Erstgeborenen, die im Himmel eingeschrieben sind, zu Gott, der alle richtet, zu den Geistern der Gerechten, die bereits ihr Ziel erreicht haben, zum Mittler des Neuen Testaments – Jesus.“ Papst Johannes Paul II. sagte zu Beginn seines Pontifikats: „Fürchtet euch nicht! Christus weiß, „was im Menschen ist“. Nur er weiß es. Fürchtet euch nicht vor dem, was ihr selbst geschaffen habt, fürchtet euch nicht vor der Welt all dieser menschlichen Erzeugnisse, die für den Menschen immer mehr zu einer Bedrohung werden! Fürchtet euch schließlich nicht vor euch selbst! Es ist also sehr wichtig, die Schwelle der Hoffnung zu überschreiten, nicht davor stehen zu bleiben, sondern sich von Christus in der Gemeinschaft der Gläubigen leiten zu lassen. Wir müssen unserer Welt ins Gesicht sehen, ihre Werte und Probleme, ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Erfolge und Misserfolge betrachten“ und ihre Geschichte im Geiste des Evangeliums gestalten. Wir sind dazu in der Lage, uns auf derartige Hoffnung einzulassen.