Wie Neustadt seine vergessene Pfefferkuchen-Tradition feiert
Pfefferkuchen sind weit mehr als nur eine Weihnachtsleckerei – sie waren einst das „Social Media“ des Barock und sogar ein Heilmittel aus der Apotheke. Im Museum des Neustädterlandes (Muzeum Ziemi Prudnickiej) ist letzte Woche eine besondere Workshop-Reihe zu Ende gegangen. Ewa Giemza erklärt, warum ein „Korb“ früher aus Teig gebacken wurde und was es mit dem 16 Jahre alten Lebkuchenteig auf sich hat.
In den Magazinen des Museums in Neustadt schlummerten sie jahrzehntelang: kunstvoll geschnitzte Holzmodeln, die älteste stammt aus dem Jahr 1862.
Eine wiederentdeckte Tradition
„Kolleginnen aus Thorn kamen damals zu uns und zeigten uns die Geschichte des Thorner Lebkuchens“, erinnert sich Ewa Giemza vom Museum. „Unsere damalige Leiterin, Frau Ania, stellte fest, dass wir auch solche Formen in unseren Beständen haben. Aber ehrlich gesagt: Wir wussten damals gar nicht genau, wie man sie benutzt.“
Die antiken Originale der Holzmodeln sind in der Vitrine im Museum des Neustädterlandes zu bewundern.Foto: Manuela Leibig
Die Experten aus Thorn gaben Schützenhilfe, und bald wurde klar: Die Tradition war auch in Oberschlesien tief verwurzelt. In Städten wie Neustadt, Neisse oder Kandrzin wurden sie gebacken. Doch durch die Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg – das Aufeinandertreffen von Menschen aus den ehemaligen Ostgebieten und den Einheimischen – ging dieses Wissen verloren. „Seit über zehn Jahren lassen wir diese Tradition nun in unseren Workshops wieder aufleben“, so Giemza.
Die Pfefferkuchen werden vor Ort gebacken.Foto: Manuela Leibig
Das „Social Media“ des Barock: Ein Korb aus Teig
Früher war ein Pfefferkuchen ein exklusives Geschenk, das sich nur Wohlhabende leisten konnten. Oft wurden die Kunstwerke sogar zusätzlich vergoldet. Jede Form trug eine klare soziale Botschaft:
- Das Baby: Ein Geschenk der Taufpatin zur Geburt.
- Die Kutsche: Ein Hochzeitsgeschenk für das Brautpaar.
- Das Alphabet: Zur Einschulung, verbunden mit dem Wunsch, schnell lesen und schreiben zu lernen.
- Handschuhe: Ein Zeichen höchster Wertschätzung und Respekt.
- Der leere Korb: „Wenn ein Mädchen einen Jungen nicht wollte, schenkte sie ihm einen Pfefferkuchen in Korbform“, erklärt Ewa Giemza. „Daher kommt die Redewendung ‚einen Korb geben‘ – bei uns hat das sprichwörtlich mit dem Gebäck angefangen.“
Pfeffer für den Magen, Honig für die Hochzeit
Interessant ist auch der Ursprung des Namens: „Pfefferkuchen“ leitet sich tatsächlich vom Pfeffer ab. Da die Gewürze aus dem Fernen Osten und der Honig extrem teuer waren, galt das Gebäck als Luxusgut.
Die antiken Originale der Holzmodeln sind in der Vitrine im Museum des Neustädterlandes zu bewundern.Foto: Manuela Leibig
„Die ersten Lebkuchen wurden in Klöstern gebacken und in Apotheken gegen Magenbeschwerden verkauft, weil sie so viel Pfeffer enthielten“, weiß Giemza zu berichten. Man unterschied damals streng zwischen den essbaren „Medizin-Lebkuchen“ und den dekorativen Bild-Lebkuchen aus den Holzmodeln.
Ewa Giemza hilft den Kleinsten beim TeigausrollenFoto: Manuela Leibig
Eine besonders rührende Tradition betraf die Geburt einer Tochter: „Wenn ein Mädchen geboren wurde, setzten die Eltern einen Lebkuchenteig an. Dieser lagerte dann so lange, bis das Mädchen heiratete – oft 15 oder 16 Jahre. Erst dann wurde er gebacken. Man sagt: Je älter der Teig, desto besser der Pfefferkuchen.“
„Kleine Hände, große Geschichte“
Besonders viel Trubel herrscht im Museum, wenn die jüngsten Besucher kommen. Die Kindergartenkinder aus dem Kindergarten Nr. 3 in Neustadt (Gruppe Słoneczka) beweisen, dass man kein Historiker sein muss, um die alten Modeln zu verstehen.
Vom Klumpen zum Kunstwerk: Unter fachkundiger Anleitung lernen die Kleinsten, wie man die speziellen Formen richtig füllt.Foto: Manuela Leibig
Mit Begeisterung drücken sie den Teig in die Formen, die schon ihre Ur-Ur-Urgroßeltern gekannt haben könnten. So wird aus der trockenen Museumsgeschichte ein Erlebnis, das man am Ende sogar mit nach Hause nehmen kann.
Die Kindergartenkinder aus dem Kindergarten Nr. 3 in Neustadt (Gruppe Słoneczka) beweisen, dass man kein Historiker sein muss, um die alten Modeln zu verstehen.Foto: Manuela Leibig
Neue Workshops ab November
Die Resonanz auf die Geschichte zum Anfassen (und Backen) ist riesig. Ob Kindergartenkinder, Schüler oder Erwachsene – das Interesse an der eigenen Regionalgeschichte wächst. Wer dieses Jahr keinen Platz mehr bei den Workshops gefunden hat, kann sich schon auf den Herbst freuen: das Museum plant, die Tradition fortzuführen. Die neue Workshop-Reihe startet in der zweiten Novemberhälfte, noch vor der Adventszeit.











